5 Jahre, 5 Monate, 5 Tage

Kategorien Über Jan, veröffentlicht am Montag, 26. Juni 2017, letzte Änderung: Dienstag, 29. Mai 2018

„Wenn du etwas 2 Jahre lang gemacht hast, betrachte es sorgfältig!
Wenn du etwas 5 Jahre lang gemacht hast, betrachte es misstrauisch!
Wenn du etwas 10 Jahre lang gemacht hast, mache es anders!“

Auf dieses Zitat greife ich immer mal wieder als eine Art Richtschnur zurück. Es lässt sich gut abwandeln auf Monate, Wochen, Tage oder auch Male, um eine Tätigkeit, ein Verhalten, eine Gewohnheit zu hinterfragen.

Da ich mal wieder verpasst hatte den fünften Jahrestag meines Nomadenlebens hier schriftlich zu würdigen, habe ich mich des im Titel zu sehenden Tricks bedient. Und auch diesen Text habe ich trotz schon länger bestehender Idee und frühzeitigem Beginn des Verfassens erst heute fertig gestellt.

Es war jedenfalls der 20. Januar 2012 als ich meine letzte Wohnung das letzte Mal verließ. Münster einen Tag später. Und weil es so schön passt und ich sonst meinem Geburtstag nicht viel Bedeutung schenke, nehme ich den 26. Juni 2017 als diesen Gedenktag. Die Uhrzeit habe ich damals nicht festgehalten und kann somit das Spiel nicht wahrheitsgemäß um Stunden oder Minuten erweitern. Aber es muss ja auch nicht zu kleinlich werden.

Bevor ich nun auf die misstrauische Betrachtung eingehe, wird mir bewusst, dass ich die sorgfältige Betrachtung weder nach zwei Jahren noch zu einem anderen Zeitpunkt bewusst vorgenommen habe. Was würde diese beinhalten? Gedanken über Sicherheiten, Stabilität, Zukunftspläne?

Jedenfalls gab es wenig Anlass meinen Lebensstil aufgrund von Zweifeln oder Mängeln zu betrachten. Ich habe nicht wahrgenommen oder festgestellt, dass etwas fehlt oder unstimmig ist und mich deshalb wahrscheinlich nicht hinterfragt, ob ich noch das richtige mache. Im Vordergrund war viel mehr die Zufriedenheit und Einfachheit mit der ich durchs Leben ging; die mich sowohl innerlich erfüllten als auch nach außen wirkten und sichtbar waren.

Ich will aber nicht ausschließen, dass dem nicht ein Selbstbetrug zu Grunde liegen könnte. Denn auch ich sehe mich nicht frei davon die angenehmen und positiven Dinge unbewusst wie bewusst in den Vordergrund zu stellen und zu überhöhen, um mich mit den Schattenseiten nicht auseinandersetzen zu müssen. Jedoch genug der Spekulation. Widme ich mich nun dem Misstrauen.

Wobei ich schon mittendrin bin. Misstrauen klingt für mich auf jeden Fall erst einmal negativ und unangenehm. Was ist gemeint? Fehlt Vertrauen oder vertraue ich auf das Falsche? Es ist ein Gefühl und tritt im Vergleich zur Sorgfalt somit unbedacht hervor. Für die Sorgfalt brauche ich Verstand und Vernunft, das Misstrauen rüttelt eher an beidem.

Tatsächlich kam und kommt es immer wieder zur Beschäftigung mit meiner Lebensweise. Wenn nicht durch mich selber, dann durch die Fragen und Gespräche mit anderen Personen. In der Regel bestätige ich, dass ich zufrieden und fröhlich bin und diese einfache und angenehme Art zu leben genieße. Außerdem funktioniert sie sehr gut für mich. Die Momente, in denen ich mich erneut an einem Schreibtisch, in einem Büro sah oder in kalten Wintern, sind an einer Hand abzählbar. Sie verpufften schnell wieder, nachdem auch all das vor meinem inneren Auge erschien, was mit den paar angenehmen Situationen der Vergangenheit notwendigerweise in Verbindung steht.

Ähnlich gering sind meine Träume oder Visionen von noch unversuchten Alternativen. Ich weiß um eine Vielzahl von weiteren Möglichkeiten zu leben und habe das Wissen darum wie und wo ich weitere Inspiration finden könnte, jedoch sehe und verspüre ich nicht den Bedarf.

Und damit bin ich bei einem Phänomen, das mir zwar nicht mehr neu ist, aber dennoch wenig vertraut und vor allem aktuell. Es ist die große Sinnfrage. Habe ich sie die Jahre zuvor nur theoretisch betrachtet, spüre ich sie mittlerweile auch wirklich in mir aufkommen. Das erste Mal war es im März 2016.

Es ist das völlige Fehlen von Motivation und Lust, des inneren Antriebs. Am stärksten und gegenwärtigen morgens nach dem Aufwachen. Warum aufstehen? Warum irgendeine Anstrengung unternehmen? Es fühlt sich erst nach Müdigkeit an, lässt sich durch Schlafen und Ruhen aber nicht ändern. Hunger und Appetit halten sich auch in Grenzen. Würde ich nicht ab und an mal müssen, gäbe es keinen Grund meine Schlafstätte zu verlassen.

Jedenfalls sind es in diesen Momenten weder die kleinen, aktuellen Dinge wie anstehende Projekte und Menschen um mich herum, noch die großen Lebensziele und Menschen in der Ferne, die mich in Bewegung setzen. Es hat etwas von Lebensmüdigkeit. Aber weil dieses Wort eher abschließend klingt und tödliche Gedanken vermittelt, spreche ich lieber von einer Sättigung. Im Grunde sind beides vorübergehende Zustände, sie unterscheiden sich durch die Art und Weise. Während die Müdigkeit auftaucht, wenn etwas fehlt, tritt die Sättigung ein, wenn genug von etwas vorhanden ist. Vielleicht ist mir aber auch noch nicht ganz klar, ob ich das für meine Situation so klar differenzieren kann. Denn grundsätzlich können beide Zustände gleichzeitig wahrnehmbar sein.

Es ist jedenfalls so, dass ich nur wenige Ansprüche an mein Leben und meine Lebenslage stelle. Meine Wünsche sind sehr überschaubar und meine Bedürfnisse leicht befriedigt. Ich brauche nicht viele Voraussetzungen erfüllt um zufrieden und heiter zu sein und mich behaglich und wohl zu fühlen. Weder hat die Ferne, das Abenteuer einen Reiz auf mich, noch spüre ich wirklich den Drang neues oder sagen wir lieber mehr und weiteres zu entdecken oder zu erlernen. Es gibt, was ich nicht kann und weiß, nicht gesehen und erlebt habe, aber ich habe weder das Bestreben dazu noch das Gefühl etwas zu verpassen. Es lässt sich zwar sagen, dass mir für vieles die nötigen Voraussetzungen fehlen, mal in Form von Geld, mal in Form bestimmter Güter oder in Form von Wissen, Beziehungen und so weiter. Aber nichts davon scheint mir unerreichbar oder unüberwindbar. Ich bin stark davon überzeugt, dass ein starker Wille ausreichend Energie, Kreativität, Kapazität freisetzt, um sein Ziel zu erreichen. Das was wir wirklich wollen, aus einem inneren Antrieb, einem Drang heraus, dass erlangen wir auch, zumindest würden wir einiges in Bewegung setzen und Anstrengungen unternehmen, die nicht im Verhältnis zu stehen scheinen. Aber ich weiß und spüre nichts, dass diesen Mechanismus in mir auslöst.

In den bald sechs Jahren, die ich mein Leben nun schon vereinfacht habe, hat mich eine Art Müßiggang eingenommen, die von außen nicht unbedingt als solche zu erkennen ist. Es mag den Anschein haben, dass ich tüchtig und aktiv bin, aber aus meinem Selbstverständnis heraus, bleibe ich hinter meinem Potential. Ich meide wirkliche Anstrengung, Herausforderung und erst recht Überforderung. Auch wenn es häufig die Erwartungen anderer übertrifft, mache ich aus meiner Sicht nicht mehr als das nötigste um angenehm und lässig zu leben. Der Anreiz ist eher noch weniger Mühe zu haben als für einen Klecks mehr objektivem Luxus auch nur einen Finger krumm zu machen. Denn wozu?

Ich bilde mir ein ein bedeutendes Muster des menschlichen Lebens verstanden zu haben: das ständige Auf und Ab. Das was uns normalerweise antreibt und voranbringt. Ein Mangel, eine Suche, dann der Weg dahin, mühsam und beschwerlich und letztendlich die Freude über die eigene Fortentwicklung. Bis sich erneut Gewohnheit einstellt und der nächste Kick das Spiel durchführen will. Mich langweilt das. Denn dieser Ablauf trifft auf alles zu: Orte, Menschen, Fähigkeiten, Wissen. Ein nicht endendes Jagen und Treiben. Es gibt kein Ende, keinen Moment des Stillstandes. So nahe wir auch unserem Ideal oder Überich kommen, spätestens im Moment des Erreichens ist es über uns hinaus gewachsen.

Ich habe nicht einmal wirklich den Antrieb diese Fragestellung zu lösen, diese Situation zu meistern, diesen Zustand zu klären. Wozu den Durchblick erlangen? Wozu die Erleuchtung? Ich bin nicht auf der Suche nach dem Glück, dem zufriedenen Leben. Absurderweise habe ich den Eindruck, dass mich die Zufriedenheit und das Glücklichsein in diese Stagnation, diese Resignation gebracht hat. Ich bin weder deprimiert noch depressiv, weder ängstlich noch traurig. Ratlos. Verwundert. Ich kann weiterhin freundlich und fröhlich sein und bleibe bemüht darum so zu leben, dass es möglichst vielen Wesen möglichst gut geht, aber einen Sinn oder eine Notwendigkeit sehe ich dafür und darin nicht. Es ist einfach nur eine Entscheidung. Die, die mir am besten gefällt. Dabei amüsiere ich mich und lache über das Leben und meine Gedanken dazu. Ich mache das, was ich will und das, was mir gefällt.

Das Thema hat noch ein paar mehr Aspekte. Und hier und dort könnte ich noch präziser und detaillierter werden, aber ich will diesen eh schon langen Artikel fertigstellen und veröffentlichen. Ich blicke also vorerst weiter misstrauisch auf meine Lebensweise, jedoch ohne Angst und Bedauern. Und vielleicht versuche ich auch schon eine Ahnung davon zu bekommen, was konkret ich in spätestens viereinhalb Jahren anders mache.

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