Mit Verständnis

Kategorien Mit, veröffentlicht am Freitag, 6. Juli 2018, letzte Änderung: Freitag, 6. Juli 2018

Für mich eine der wichtigsten Eigenschaften, um friedlich und ruhig zu bleiben und anderen Leuten, dem Menschen im Allgemeinen, nur schwerlich etwas übel nehmen zu können, selbst wenn mir sein Handeln missfällt oder sogar inakzeptabel erscheint.

Dahinter steckt aber nicht zwangsläufig Akzeptanz oder Zustimmung, sondern die Überzeugung, dass es immer irgendeinen Grund, bewusst wie unbewusst gibt, der jemanden motiviert. Und so weit auch die Tat von unserer eigenen Vorgehensweise entfernt sein mag, zugrunde liegen oft dieselben Motivationen. Es gibt mehr, dass uns verbindet als uns trennt.

Verständnis zu haben setzt also für mich nicht notwendigerweise voraus, dass ich die Handlung (bereits) verstehe, aber verstanden zu haben, dass es etwas zu verstehen gibt. Dass eine, meist banale Erklärung existiert.

Wir sind nicht böse, sondern blöd

Und aus meiner Beobachtung und Erfahrung und aus einer Art Gutmütigkeit, gehe ich davon aus, dass Handlungen, die sich gegen mich richten oder mich negativ beeinflussen, nicht in meinem Wesen gründen, sondern mehr über den Handelnden aussagen, wenn auch nur spekulativ.

Taten anderer, die ich für mich negativ empfinde, versuche ich als erstes immer auf ihre Motivation zu hinterfragen. Will der andere (mir) etwas böses oder weiß er es nicht besser? Und ich gehe optimistisch davon aus, dass keine Boshaftigkeit als primärer Antrieb zu Grunde liegt, egal wie gemein der Anschein auch sein mag.

In der Regel sind es unbewusste Verhaltensmuster, die sich für das Gegenüber leider bewährt haben und somit fortgeführt werden oder zu denen ihm keine Alternativen bekannt sind. Wir beginnen alle damit unsere Verhaltensmuster durch Abgucken, Kopieren und Ausprobieren zu entwickeln, ohne sie anfangs bzw. in jungen Jahren moralisch oder auf Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Und unsere später bewusst gewählten Strategien müssen dann mit diesen intensiv verankerten Mustern konkurrieren. Und umso mehr wir in Bedrängnis, Not, Stress, Unbequemlichkeit oder einfach in einer unbekannter Situation sind, umso eher greifen wir auf die vertrauteren Abläufe zurück.

“Missverständnisse und Trägheit machen vielleicht mehr Irrungen in der Welt als List und Bosheit.“

Johann Wolfgang von Goethe

Verstehen ist schmerzhaft

Je ferner und fremder mir jemand ist, umso weniger gehe ich meinem Bedürfnis nach tiefem Verständnis im Wortsinne nach. Ich frage die Leute also nicht nach ihren Gründen. Anfangs habe ich gerade die mir nahe stehenden Personen mit meinem Unverständnis konfrontiert, was aber oft zu unangenehmen Situationen führte. Ich kann besser mit mir unbehaglichem Verhalten anderer umgehen, wenn mir einmal klar ist, was jemanden zu seinen Handlungen und Handlungsweisen antreibt. Und wenn ich es mir nicht selber erschließen kann oder unsicher bin, neigte ich dazu nachzufragen. Sowohl offen als auch mit Nennung meiner Vermutung. Alles ohne die Idee es zu bewerten oder verändern zu wollen.

Leider ist diese offene Vorgehensweise aber zu wenig geläufig, so dass in der Regel ein Vorwurf und eine Notwendigkeit zur Rechtfertigung wahrgenommen wird. Kritik an der eigenen Persönlichkeit, obwohl es nur um einen Aspekt geht. Und einen weiteren Effekt unterstelle ich. Denn meine Suche nach Verständnis provoziert eine Selbstbetrachtung beim anderen, die entweder Widersprüche hervor holt, die schon bekannt sind, aber ignoriert werden oder solche, die erstmals bewusst auftauchen. Daraufhin kommt es zu einer Abwehrreaktion, die mich und meine Fragen als Angriff wahrnimmt statt sich dem eigenen, inneren Konflikt zu stellen. Die Annahme der Kritik birgt ja auch die Chance das eigene Verhalten bis dahin als schlecht und falsch zu betrachten und sich schuldig zu fühlen.

Es braucht geeignete Momente und Vorbereitung bevor ich mich in solche Diskussionen begebe. Nur schwer zurückhalten kann ich mich aber weiterhin, wenn mir die Widersprüche zu groß bzw. zu deutlich werden. Wenn jemand für meine Deutung auffällig stark und oft entgegen seiner eigenen Äußerungen und Behauptungen handelt und agiert.

Versteh dich selber

Für mich entstand außerdem folgendes Bild: In dem Maße wie sich häufig unter Äußerung des Unverständnisses über das Verhalten von Mitmenschen aufgeregt wird, entsteht Verärgerung darüber mit den eigenen Widersprüchen konfrontiert zu werden. Das bestärkt ein wenig die These, dass uns oft dasjenige am meisten und stärksten an anderen stört, was wir für uns selber nicht in Einklang bringen können. Der innere Konflikt wird ins Außen getragen und dort bekämpft. Dabei muss es nicht um dasselbe Thema gehen, es reicht eine Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit.

Besonders gut zeigt sich das für mich immer am Umweltschutz. Keiner, der nicht über einen Aspekt bei seinen Mitmenschen zu klagen weiß, weil diese sich nicht bewusst genug im Umgang mit unserer Umwelt verhalten würden. Und dabei geht es meist um etwas, dass wir selber schon für unsere Ansprüche genügend gemeistert haben. Alle die Herausforderungen, die noch vor uns selber liegen, lassen wir in dem Moment außer Acht.

“Jeder möchte die Welt verbessern und jeder könnte es auch, wenn er nur bei sich selber anfangen wollte.“

Karl Heinrich Waggerl

Und es gibt immer wieder einen Bereich, in dem sich anfangen lässt. Auch wenn ich vielleicht nicht die spezifische Tat oder Reaktion nachvollziehen kann, in dem Sinne, dass ich selber nicht so handle, so gelingt es mir doch in meiner Gegenwart oder meiner Vergangenheit Verhaltensmuster zu finden, die entsprechend funktionieren, Somit kann ich eine Sympathie für den Zustand des Mitmenschen aufbringen.

Im Volksmund gibt es dazu zahlreiche Redewendungen wie Vor der eigenen Tür kehren, Sich an die eigene Nase fassen oder den Splitter im fremden Auge, aber nicht das Brett vorm eigenen Kopf sehen. Wir alle sind voll von Wissen und Erfahrungen, die dazu führen müssten, dass wir uns anders verhalten. Aber selbst das Lernen aus (eigenen) Fehlern gelingt nicht auf Anhieb.

“Wenn du mit einem Zeigefinger auf andere Menschen zeigst, zeigen drei Finger auf dich zurück!”

Gustav Heinemann

Es ist immer anstrengend sich gemäß all seinen Überzeugungen zu verhalten und meist bleiben Kompromisse nicht aus. So schön Ideale auch sein mögen, die meisten scheitern an der Realität. Dem bin ich mir zwar bewusst, aber das macht sie nicht unnötig oder überflüssig oder nutzlos.

Es ist allzu menschlich diese Konflikte in sich zu tragen. Statt sie zu ignorieren und zu vertuschen, können wir sie an- und hinnehmen. Verständnis für uns selber dafür zu haben, dass wir nicht verstehen, warum wir es nicht hinbekommen nach unseren Maßstäben korrekt zu sein. Und wenn das gelungen ist, gelingt auch Verständnis für dasselbe Fehlverhalten bei anderen anzusetzen.

“In dem Maße, wie der Wille und die Fähigkeit zur Selbstkritik steigen, hebt sich auch das Niveau der Kritik an anderen.”

Christian Morgenstern

Härtefälle

Eine harte Probe für den Grad meines Verständnisses ist z. B. die Kommentarkultur im Internet oder Talkrunden im Fernsehn, die ich beide grundsätzlich meide. Einzige Ausnahme ist die regelmäßige Aufbereitung einiger Leserbriefe, die das Satireportal Postillon erhält, und neben ihren sonstigen Meldungen veröffentlicht. Mit Humor kann ich alles ertragen. Es ist aber auch eine Übung darin in der eigenen Gefühlswelt zwischen Verzweiflung, Mitleid und Verständnis zu unterscheiden.

Ähnlich ist es selbstverständlich mit politischen Äußerungen und Entscheidungen oder denen von wirtschaftlichen Vertretern. Aber obwohl gerade dort bei negativen Auswirkungen für einen selber, böse Absichten des Gegenübers unterstellt werden, finde ich es in diesen Fällen offensichtlicher die unterschiedlichen Ebenen von Beweggründe zu erschließen, und eben auch die von meinen Vorstellungen abweichenden Wege und Methoden.

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