(Deutsch) Ohne Meinung

Categories Without, published on Sunday, 13. February 2022, last modification: Sunday, 13. February 2022

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Meine Meinung ist, dass Meinungen überbewertet sind und zum Selbstzweck verkommen. Sie sind kein Teil der Persönlichkeit und nichts mehr als das vorläufige Endprodukt der Beschäftigung mit einem Thema.

Meinungsvielfalt, Meinungsfreiheit, Meinungsäußerung. In meiner Wahrnehmung gab es vor allem in den letzten zwei Jahren sehr viel Aufmerksamkeit für Meinungen, so dass ich dem Wort überdrüssig bin und vielleicht schon deshalb die Gegenrede starte.

Weder brauchen so viele Leute eine Meinung, noch zu so vielen Themen. So wie die Leute mit Meinungen umgehen, nehme ich diese als etwas abgeschlossen war. Etwas, das bestenfalls am Ende einer Überlegung oder Aushandlung steht und somit keine weitere Auseinandersetzung benötige. Manifestiert in dem Satz “Ich habe meine Meinung, du hast deine Meinung.” Ein weiteres Indiz für unser Bedürfnis nach Einfachheit und Eindeutigkeit. “Die Sache ist abgeschlossen, ich brauche mich nicht mehr damit befassen, das Thema ist durch, Basta!” Bequem, aber darüber hinaus von keinerlei Nutzen für das Zusammenleben und die persönliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung.

Hinter der Forderung steckt keine Charakterstärke, sondern Unwillen oder Unfähigkeit sich mit der Welt, ihrer Komplexität und ihrer Veränderlichkeit auseinander zu setzen. Die Meinung dient als Schutzschild, um eine Überforderung zu vermeiden.

Das führt dazu, dass die Meinung in zu vielen Fällen nicht das Ergebnis ist, sondern als Basis dient. Die eigene Meinung nährt sich nicht aus einer Fülle an Aspekten, sondern definiert, wie wir Argumente zu einem Thema bewerten. Der gesamte Vorgang wird auf den Kopf gestellt. Damit ist es nicht weit zum Fundamentalisten und zur Ideologie.

Eine Meinung zu haben, auf dieser zu bestehen und sich jede Kritik daran zu verbieten, erspart den mühsamen Weg der Meinungsbildung. Ich werde den Eindruck nicht los, dass den meisten Meinungsinhabern ihr wackeliges Gerüst bewusst ist und sie sich schon deshalb vehement jeder Auseinandersetzung entziehen, um dies weder anderen zu offenbaren, noch sich selber eingestehen zu müssen.

Eine Meinung ist ein Prestigeobjekt und das kann ja nicht jeder einfach so haben. So verleiht mir eine eigene Meinung den Anschein von Bildung, Informiertheit, Durchdachtheit und Überlegung sowie Uberlegenheit. Jeder Versuch der genaueren Betrachtung, birgt also die Gefahr mich abzuwerten. Meine Meinung könnte ja falsch sein.

Dabei haben die meisten von uns den Luxus überhaupt keine Meinung haben zu müssen, aber gegenteiliges Verhalten ist dominant. Es gilt als positiv meinungsstark zu sein, seine Meinung zu vertreten und bei seiner Meinung zu bleiben.

Ich habe nichts dagegen, dass jeder eine Meinung haben soll und bin froh, dass sie auch jeder frei äußern darf, aber wir haben keine Meinungspflicht. Eine Meinung zu haben und auf dieser zu beharren ist kein Wert an sich und auch keine Stärke, egal wie sehr wir uns das einreden.

Meinung ist außerdem kein Körperteil. Nichts, das festgewachsen ist und unveränderlicher Teil von uns sein muss. Sie gleicht mehr einem Kleidungsstück, das ich trage, wenn ich es für angemessen halte. Solange es mir gefällt und zu mir passt. Ich kann sie aber auch ablegen und wechseln. Es tut nicht weh sich von einer Meinung zu trennen und Aussagen gegen meine Meinung sind keine Körperverletzung, gegen die ich mich wehren muss.

Eine Meinung zu haben scheint für viele auch wichtiger zu sein als der Prozess der Meinungsfindung. Und die Meinung zu verteidigen sei mutiger und beeindruckender, als sie auf die Prüfung zu stellen und weiter zu entwickeln.

Wir sind selten in Situationen, in denen es auf eine abschließende Meinung unsererseits ankommt, weil unsere Position zu einem Thema keinen Einfluss auf das Gesamtgeschehen hat. Wir könnten uns also dieser Verantwortungslosigkeit hingeben und in der Schwebe bleiben. Bis zum letzten Moment offen für Argumente und Idee, die das Gesamtbild beeinflussen. Meinungsfreiheit kann auch bedeuten frei von Meinung sein zu dürfen.

Jemandem zuzuhören, der seine Meinung verteidigt, löst in mir ein Wechselbad der Gefühle aus, wie es gute Argumente selbst gar nicht leisten könnten. Zeitweise bin ich gelangweilt, weil es doch immer wieder dasselbe Schema ist. Dadurch ergibt sich dann auch eine gewisse Komik, weil sich der Meinende für besonders gewieft und überlegen hält, während er sämtliche Muster wie aus dem Lehrbuch bedient. Diesem kurzen Moment der Überlegenheit, die ich auf meiner Seite verspüre, folgen dann meine Enttäuschung und Frustration über mich und die Situation, weil damit natürlich niemandem geholfen ist und ich ratlos darüber bin, wie ich demjenigen aus seiner Verstrickung helfen kann.

Es geht mir dabei in erster Linie nicht darum, dass derjenige dann meine Meinung teilt, wobei es natürlich unglaubwürdig wäre zu sagen, dass ich mir nicht wünsche, dass wir alle bei möglichst vielen Sachverhalten zur gleichen Meinung kommen – einfach weil es das Leben und dessen Gestaltung bequemer macht. Es geht mir darum, dass die Meinungsbildung korrekt abläuft und fairen und allgemeingültigen Kriterien entspricht.

Und dabei beziehe ich mich nicht einmal nur auf meine Ansprüche, sondern suche Mittel und Wege dem Gegenüber bewusst zu machen, dass es nicht dem Verstand und der Logik folgt, wie selber behauptet wird, sondern einer genauso manipulierbaren Stimmung oder einem ebenfalls beeinflussbaren Gefühl.

Entscheidend ist für mich nicht welche Meinung jemand hat, sondern wie er sie erlangt hat. Ob der Vorgang nachvollziehbar und stimmig ist. An der Argumentationsweise ist gut zu erkennen, wie sehr jemanden ein Thema berührt. Und umso existentieller es wird, desto unsachlicher erfolgt die Argumentation.

Dass nicht mehr über Meinung geredet wird ohne auch gleich den Wert der Meinungsfreiheit zu proklamieren, hat zu eigenartigen Erwartungen und Schutzbehauptungen geführt. Unter Meinungsfreiheit wird der Anspruch verstanden, die eigene Meinung immer und überall widerspruchsfrei sagen dürfen zu können.
Und obwohl diese Forderung keine Berechtigung hat, wird einfach alles als Meinung deklariert, um es heldenhaft in die Welt zu schreien; im Glauben mutig zu sein.

Dadurch wird Meinung nicht nur entwertet, sondern beliebig und gleichzeitig die Meinungsfreiheit ad absurdum geführt, da jeder Widerspruch, jede Gegenrede, jeder Einwand nicht als eigene Meinung einer anderen Person betrachtet wird, sondern als Angriff auf einen selber.

Kann eine echte Meinung falsch oder richtig, gut oder schlecht sein? Das finde ich schwer zu beantworten, weil sie wie gesagt ein persönliches Fazit darstellt, das jemand anhand seines Blickes auf die Welt zieht. Sie mag anderen nicht gefallen oder eine unerfreuliche Botschaft beinhalten, aber eine Bewertung dieser Art passt an der Stelle nicht. Viele Meinungen sind falsch und schlecht, weil es eben keine Meinungen sind.

Meinungen ergeben sich aus der Interpretation von Fakten, sind Überlegungen darüber wie mit bestimmten Sachverhalten und Situationen umzugehen ist. Aber die Realität nach eigenen Wünschen auszulegen ist keine Meinung. Egal wie sehr jemand meint, dass es nicht so sei, aber ich atme.

Texte wie dieser hier sind letztendlich Meinungsäußerungen meinerseits. Sie sind mein Versuch ein Thema für mich zu erfassen. Eine Basis zu schaffen, wenn auch nur in Form einer Momentaufnahme, von der aus ich mir bei Bedarf ein Urteil bilden kann. Indem ich Gedanken und Gedankengänge aufführe, die in der Regel aus einem inneren Dialog erfolgen, soll nachvollziehbar werden, wie ich zu meinen Schlüssen komme, und die Möglichkeit gegeben sein, Einspruch zu erheben oder zu ergänzen.

Tatsächlich habe auch ich schon Texte verfasst, in denen ich vorrangig meine Meinung untermauern wollte. Ich habe dann bereits Argumente, die meine These stützen und auch gute Ideen, warum die Gegenargumente ihre Schwachstellen haben. Um mein Fazit aber auf noch stabilere Beine zu stellen, bin ich ein paar Mutmaßungen nachgegangen und Einfällen, die mir sehr plausibel und passend erschienen. Jedoch habe ich dann nicht nur keine belastbare Grundlage für meine Geschichte gefunden, sondern teilweise auch noch stärkeres Contra, so dass ich diese Artikel nicht fertiggestellt und veröffentlicht habe.

Verloren habe ich dadurch letztendlich nichts. Wie gesagt dienen die Text vorrangig mir selber und einen Erkenntnisgewinn habe ich so oder so, ob ich mich nun erneut bestätige oder meine Sichtweise ändere. Ich kann nicht einmal ausschließen, dass ich mir vor allem aufgrund der Länge innerhalb meiner Artikel unbemerkt widerspreche.

Ich möchte die Wahrheit und die Übereinkunft mehr lieben als meine Meinung, merke aber auch, dass dieses Prinzip nicht vereinbar mit jemandem ist, dem nichts wichtiger ist als die Verteidigung seiner Meinung, seiner Worte, seiner Weltsicht, aus welchen Gründen auch immer.

Das nächste Paradoxon liegt darin, dass ich mir trotz aller Sorgfalt nie gewiss und sicher sein kann und immer bereit bin einzulenken und mich zu überprüfen. Im Gegensatz dazu liegt die Inbrunst der Überzeugung, mit der fundamentale Ideologen jede krude Aussage wahlweise als Wahrheit oder als Meinung bezeichnen und ohne den Hauch von Selbstzweifel vortragen.

Hier ließe sich das nächste Themenfeld anschließen, denn Zweifel sind auf jener Seite auch nur dann erwünscht, wo Meinungen nicht gefallen. Jedes Unverständnis wird nicht als Chance gesehen den eigenen Horizont zu erweitern, sondern als Beweis für die Fehler der anderen.

Abschließend ein Zitat von Hans Rosling, mit dem ich auf den Partnerartikel zu diesem verweisen möchte: “The stress-reducing habit of only carrying opinions for which you have strong supporting facts.” (Die stressreduzierende Angewohnheit, nur Meinungen zu vertreten, für die man faktische Belege hat.)

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